Auf Grundlage eines Ratsbeschlusses sollen die Einwohner Wilhelmshavens zur Realisierung einer neuen Stadthalle befragt werden. Dazu wurden über den Postweg Fragebogen verteilt, die bis zum 30. November 2020 abgegeben werden können.
Bemerkenswert ist, dass der Fragebogen nicht neutral verfasst ist, sondern einige Anmerkungen enthält, die geeignet sind, die Antworten in eine bestimmte Richtung zu lenken (siehe rote Markierungen):
Die im Fragebogen rot hervorgehoben Aussagen sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.
Die Aussage, dass eine Sanierung der Stadthalle mit "unverhältnismäßig hohem finanziellen Aufwand" verbunden sei und deshalb ein Neubau erfolgen solle, suggeriert, dass ein Neubau entweder die kostengünstigere Alternative darstellt oder nur geringfügig höhere Realisierungskosten verursachen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Wie dem Internetauftritt der Stadt Wilhelmshaven, auf dem Informationen zum Thema "Stadthalle" zusammengestellt sind, zu entnehmen ist, werden für eine Sanierung der bestehenden Stadthalle ca. 20 Mio. EUR veranschlagt. Eine Konzeptstudie aus dem Jahr 2008, die ebenfalls über die Internetseite der Stadt abrufbar ist, schätzt die Kosten für einen Neubau am Banter See (Veranstaltungshalle plus Kfz-Stellflächen) auf ca. 30 Mio. EUR.
Die Kosten für eine Sanierung sind ohne Zweifel hoch. Im Vergleich zu den Realisierungkosten eines Neubaus ist jedoch die behauptete "Unverhältnismäßigkeit" nicht nachvollziehbar.
Gemäß Bewertung des Vereins zum Erhalt Wilhelmshavener Baukultur kann mit einer Sanierung und Umgestaltung der bestehenden Stadthalle ein qualitativer Zustand erreicht werden, der einem Neubau gegenüber gleichwertig ist. Auch die durch den Verein vorgenommene Kostenschätzung fällt im Vergleich (Sanierung/Umgestaltung vs. Neubau) zu Ungunsten eines Neubaus aus.
Neben der reinen Kostenfrage sind jedoch eine Reihe weiterer Aspekte zu berücksichtigen und abzuwägen, um zu einer bestmöglichen Lösung zu gelangen. Die Stadt Wilhelmshaven hat hierzu im Rahmen eines Gutachtens verschiedene Standortoptionen untersuchen lassen. Wie im Fragebogen herausgehoben wird, empfiehlt das Gutachten den Standort am Banter See. Auf Platz zwei der Bewertung findet sich die Grenzstraße, wo die aktuelle Stadthalle ihren Standort hat.
Im direkten Vergleich der Standorte "Grenzstraße"und "Banter See" stellt das Gutachten für die Grenzstraße folgende schwerwiegende Nachteile dar:
- zeitaufwendiger und kostenintensiver Rückbau des Bestandgebäudes (aktuelle Stadthalle)
- mehrjährige Betriebsunterbrechung während der Zeit des Rück- und Neubaus
- notwendiger Emissionsschutz durch Lage im Wohngebiet
- kritische An- und Abfahrtsituation
- kritische Anliefersituation
- keine Erweiterungsmöglichkeiten durch Innenstadtlage
Der Verein zum Erhalt Wilhelmshavener Baukultur kommt hier zu einer gegenteiligen Bewertung:
- Ein kompletter Rückbau des Bestandsgebäudes ist nicht erforderlich. Die Weiternutzung des gegebenen Gebäudekerns stellt aus ökologischer und ökonomischer Sicht einen Vorteil gegenüber einem Neubau auf der grünen Wiese dar.
- Die Stadthalle wird bereits Ende 2021 ihren Betrieb einstellen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass innerhalb des verbleibenden Jahres eine Bauaktivität zur Errichtung einer neuen Stadthalle starten wird. Somit ist eine mehrjährige Betriebsunterbrechung unvermeidbar und unabhängig vom künftigen Standort.
- Die Stadthalle wird am aktuellen Standort seit über 40 Jahren betrieben. Probleme im Emissionsschutz sind nicht bekannt.
- Die An- und Abfahrtsituation wird am Standort "Banter See" eher schlechter sein. Das Gutachten berücksichtigt nicht die Insellage des Banter-See-Grundstücks, das vom Stadtgebiet nur über drei Dreh- bzw. Klappbrücken erreichbar ist. Außerdem wird nicht berücksichtigt, dass sich die Anzahl der Wohnungen und Hotelzimmer im Bereich Jadeallee und Südstrand durch laufende und geplante Bauaktivitäten mehr als verdoppeln wird. Entsprechend wird sich in diesem Bereich das Verkehrsaufkommen erhöhen. (Siehe hierzu auch "Analysen und Überlegungen zu einer neuen Stadthalle" des Vereins zum Erhalt Wilhelmshavener Baukultur)
- Das Stadthallengebäude an der Grenzstraße verfügt über große Flächen, die aktuell ungenutzt sind. Möglichkeiten zur Erweiterung sind somit durchaus gegeben.
Darüber hinaus ist zu hinterfragen, ob es sinnvoll ist, eine Stadthalle direkt neben eine bereits bestehenden Einrichtung für Großveranstaltungen (Kulturzentrum Pumpwerk) zu setzen. Eine wesentliche Fragestellung muss auch sein, welchen Beitrag eine neue oder neugestaltete Stadthalle für das Umfeld leisten kann und soll. Am Standort "Grenzstraße" würde sich mit einer architektonisch aufgewerteten und neu belebten Stadthalle sicherlich ein Impuls für eine positive Entwicklung der umliegenden Bereiche (z.B. Fußgängerzone Grenzstraße) ergeben. Der Standort "Banter See" hingegen benötigt eine solchen Impuls nicht, da das städtebauliche Umfeld dort bereits einen sichtbaren Aufschwung vollzogen hat und sich auch ohne Stadthalle weiter positiv entwickeln wird.
Es ist zu begrüßen, dass mit der Einwohnerbefragung die Bürgerinnen und Bürger in den Diskussionsprozess zu einer neuen Stadthalle eingebunden werden. Eine neutrale Aufbereitung des Fragebogens wäre allerdings wünschenswert gewesen. So entsteht durch manch "erläuternden Satz" der Eindruck, dass man weniger an einem Meinungsbild interessiert ist als an einer Bestätigung des Standortes "Banter See".
Der aktuelle Stadthallenkomplex bietet Potenziale und Qualitäten, die aufgrund des heutigen Erscheinungsbildes und des baulichen Zustands schnell übersehen werden. Erst einmal erkannt, ergeben sich neue Ideen zur Umstrukturierung.
Stadthalle Wilhelmshaven an der Grenzstraße/Ecke Peterstraße: Ideenskizze zur Umgestaltung des Eingangsbereiches und der Fassade